Gedanken einer Mutter nach 100 Tagen Ferien…

7:00 Uhr. Unser New-Age-Wecker gurgelt sanft vor sich hin. Zum Zeichen, dem störenden Geplätscher endlich ein Ende zu bereiten, landet eine kleine warme Faust kurz unter meinem rechten Auge. Unser Jüngster hat auch heute Nacht den Weg in unser Bett gefunden. Behutsam befreie ich meinen schmerzenden Arm, der unnatürlich abgeknickt unter dem Kopf meines Juniors klemmt. Es ist der 15. September – der ersehnte Stichtag! Heute öffnen die italienischen Schulen nach 3 ½ Monaten Ferien wieder ihre langsam Rost ansetzenden Pforten!

Im fahlen ersten Morgenlicht betrachte ich den friedlich schlummernden Jaques. Der perfekte kleine Mund halboffen, rosige Schlafbäckchen…meine Gedanken schweifen zu Correggios herrlichen Putti und ich frage mich auf einmal, warum ich diesen Tag in den letzten Tagen so herbeigesehnt habe???

Ich tapse ins Kinderzimmer und finde unter einem Wust von Laken und Kissen den zerwuschelten Schopf eines zweiten träumenden Engels. Vorsichtig hauche ich Luna einen zarten Kuss auf die Stirn. Dunkle kastanienbraune Augen schauen mich noch schlaftrunken an. Dann lächelt Lu verschmitzt, „Siehst Du Mama, ich bin schon ganz wach, aber trotzdem hätte ich jetzt gerne nochmal so lange Ferien“. Ich grinse meine Große an und fühle einen Stich bei dem Gedanken, dass nach der sommerlichen Leichtigkeit für sie heute wieder der „Ernst des Lebens“ beginnt: Ganztagsschule von Montags bis Freitags, 8:30-16:30. Und am Wochenende dann nochmal mindestens drei Stunden Hausaufgaben. Man könnte ja in zwei Tagen eventuell das Kleine 1×1 vergessen!

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Ganztagsschule vs Ferien im XXL-Format…

In Italien steht der straff organisierte Schulalltag im krassen Kontrast zum sommerlichen „Laissez Faire“, welcher italienische Haushalte von Juni bis Mitte September heimsucht. Mein aufgewühltes emotionales Innenleben spiegelt an diesem ersten Schultag diese enorme Diskrepanz wider.

Als selbständig arbeitende Mutter, ohne die Hilfe jener „Vollzeitgroßeltern“, den wahren Grundpfeilern der italienischen Gesellschaft, bedeuten Schulferien für mich mindestens 2 ½ Monate Arbeitspause. Im Juni regeln wir Lunas Betreuung noch mit Hilfe der kirchlich und privat organisierten Sommercamps für die größeren Kids. Spätestens ab Juli, mit der Schließung von Jaques Kindergarten, heißt es dann aber, den langen heißen Sommertagen kinderfreundliche Unterhaltung abzuringen.

Nach 8 Monaten komplett durchorganisierter Schul- und Kindergartentage, haben sich Lu und Little Jack ihre (mega) großen Ferien redlich verdient. Trotzdem  müssen sich die beiden erst einmal an die sommerliche Anarchie gewöhnen. Völlig unausgelastet und ohne kindliche Verpflichtungen, bekriegt sich mein Nachwuchs die ersten Ferienwochen nach Herzenslust. Um schlimmere Verletzungen zu verhindern, bedarf es eines ausgefeilten häuslichen Bespassungsprogramms, sowie steinharter Nerven und unendlicher Geduldsreserven! Spielplätze, Parks, Freizeitbäder und die Lidi  der nahen Adriaküste werden zu den Schauplätzen meines sommerlichen Fulltimejobs.

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Ferienkollaps…

Die brennende Sonne fegt hier von 12:00 bis 16:00 Uhr die Bürgersteige und Spielplätze leer. Die Mittagspause ist in den Mittelmeerländern der Siesta für Klein und Groß gewidmet. Auch ich würde gerne nach unseren vormittäglichen Abenteuern auf der Hängematte neue Kraft für die nicht minder ausgefüllten Nachmittage tanken!
Nur doof, wenn man es dann mit Energiebündeln wie Luna und Jack zu tun hat. Offensichtlich in der Schule heimlich mit Duracellbatterien abgefüttert, ist bei ihnen vor 23:00 mit keinem Leistungsabbau zu rechnen! Und wo gibt es bitte das Kraftfutter für völlig ausgepowerte Fulltimemütter mit Ferienkollaps?! Bevor ich ernsthaft den Rückgriff auf illegale leistungsfördernde Substanzen in Erwägung ziehe, bekomme ich Mitte August Verstärkung von meinem Mann. Wir machen uns auf die Reise gen Süden.

Zwei herrliche sizilianische Wochen markieren die Halbzeit auf unserem rasanten  Ferienmarathon. Malerische Buchten, kristallklares Wasser, geschichtsträchtige Atmosphäre und süß-saure Köstlichkeiten der arabisch beeinflussten Küche. Die Heimat meines Angetrauten trägt erheblich dazu bei auch meine Batterien wieder aufzuladen. Vollgepackt mit sizilianischer Keramik und Delikatessen als Winterproviant für meinen Exil-Sizilianer geht es zurück in emilianische Gefilde. Mir stehen noch drei Wochen Schulferien bevor und so langsam gehen mir die Ideen aus.

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Auf der Suche nach dem eigenen Weg…

Nach so viel „dolce far niente“ (bzw. super Ferienspaß) weigert sich meine sonst so einsichtige Tochter schlichtweg ihrem Ferienpensum an Hausaufgaben nachzugehen. Jeder wie auch immer geartete Überzeugungsversuch scheint zum Scheitern verurteilt. Das Kleine 1×1 riskiert diesmal definitiv in die unbekannten Tiefen der Vergessenheit zu geraten. Ich merke wie ich immer öfter laut werde. Die eiserne Geduldsreserve geht bedenklich ihrem Ende zu. Ich liebe meine Kinder über alles und genieße es, sie um mich zu haben. So pathetisch das klingen mag, aber mein Leben hat durch sie erst einen tieferen Sinn bekommen. Was ist passiert? Warum bin ich Ende August am Rande meiner Nerven und sehne den Wiederbeginn der schulischen Aktivität geradezu herbei????

Ich denke, dass wir „Millenium-Eltern“ immer noch auf der Suche nach unserem ganz eigenen Weg in der Kindererziehung sind. Wir sind weder autoritär noch antiautoritär. Wir lieben das Spiel mit unseren Kindern auf Augenhöhe. Unserem Erziehungsjob versuchen wir selbstreflektiert und mit einer guten Portion Ironie nachzukommen. Wir schenken unserem Nachwuchs unsere ungeteilte Aufmerksamkeit und fördern ihn bereits von der Wiege an. Eigene Bedürfnisse werden dabei oft ganz hinten angestellt.

Solange der Tag dem gewöhnlichen Rhythmus von Schule – Arbeit – Famile – Freizeit folgt, bleibt meistens noch genug Platz für die Bedürfnisse aller Familienmitglieder. Aber in 100 Tagen Schulferien lässt mir meine dreifache Rolle als MAMA, SPIELKAMERADIN und ENTERTAINERIN kaum zehn Minuten tägliche Verschnaufpause, um mit mir und meinen Gedanken alleine zu sein.

Der erste Schultag neigt sich seinem Ende zu. In ein paar Stunden schließe ich endlich meine Kinder wieder in den Arm!!! Über unserem Haus und Garten liegt eine ungewöhnliche Stille. Ich lausche den Grillen, die ohne Jaques Gekrähe wieder zu Wort kommen. Während ich mich in die Hängematte kuschel, formuliere ich in Gedanken bereits das Anschreiben, das mir seit Tagen durch den Kopf geht:

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Sehr geehrte italienische Frau Bildungsministerin,
auch wenn ich als Exildeutsche unser Leben in Ihrem schönen Land sehr liebe, hätte ich Ihnen einen erheblichen Verbesserungsvorschlag bezüglich der hiesigen Ferienreglung zu unterbreiten. Wie wäre es mit der Adaption des nordeuropäischen Models, wo die 3 ½ Monate Ferien auf das ganze Jahr verteilt werden? Es wurde inzwischen eine wunderliche Maschine zur Regelung der erhöhten sommerlichen Raumtemperatur erfunden, die sogenannte K-L-I-M-A-A-N-L-A-G-E. Dieses Technikwunder ließe sich sicherlich auch in italienischen Schulen montieren???….

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